Normen. Muss man (nicht) verwenden?

Jeder kennt die ÖNORMen, EN-Normen, ISO-Normen, OIBs, TRVBs, und einige andere, um einen Auszug zu nennen. Doch wie verhält sich das nun mit der verpflichtenden Verwendbarkeit?

Sogenannte Rechtsnormen (Gesetzte, Verordnungen, Erlässe und Bescheide) sind rechtlich gültig und sind zu verwenden. Ohne Ausnahmen.

Eine „normale“ Norm (ÖNORM, OIB, ÖVE, EN, TRVB, …) …

  • ist eine qualifizierte Empfehlung etwas zu tun, eine (technische) Spezifikation
  • kein Gesetz,
  • ist öffentlich zugänglich,
  • wird im Konsens nach international anerkannten Verfahren erstellt,
  • beruht auf abgestimmten Ergebnissen von Wissenschaft, Technik und Praxis und enthält präzise Kriterien,
  • zielt auf größtmöglichen Nutzen für alle, die sie als Regel, Richtlinie oder Definition konsequent verwenden,
  • wird von einer anerkannten (nationalen) Normungsorganisation [Austrian Standards Institute (ASI)] zur allgemeinen und wiederkehrenden Anwendung angenommen.
  • Eine Norm ist VERPFLICHTEND, wenn Sie in einem Gesetz, einer Verordnung, einem Erlass oder einem Bescheid genannt ist.
  • Eine Norm ist aber auch eine Verkehrssitte! (Erklärung folgt weiter unten.)

Ein kurzer Rechtlicher Exkurs zum Stand der Technik.

  • ASchG §2:

Stand der Technik im Sinne dieses Bundesgesetzes ist der auf einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Entwicklungsstand fortschrittlicher technologischer Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen, deren Funktionstüchtigkeit erprobt und erwiesen ist. Bei der Bestimmung des Standes der Technik sind insbesondere vergleichbare Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen heranzuziehen.

  • GewO §71a:

Der Stand der Technik (beste verfügbare Techniken – BVT) im Sinne dieses Bundesgesetzes ist der auf den einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen, Bau- oder Betriebsweisen, deren Funktionstüchtigkeit erprobt und erwiesen ist. Bei der Bestimmung des Standes der Technik sind insbesondere jene vergleichbaren Verfahren, Einrichtungen Bau- oder Betriebsweisen heranzuziehen, welche am wirksamsten zur Erreichung eines allgemein hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt sind; weiters sind unter Beachtung der sich aus einer bestimmten Maßnahme ergebenden Kosten und ihres Nutzens und des Grundsatzes der Vorsorge und der Vorbeugung im Allgemeinen wie auch im Einzelfall die Kriterien der Anlage 6 zu diesem Bundesgesetz zu berücksichtigen.

  • Einschlägige technische ÖNORMEN sind auch dann zu beachten, wenn sie nicht ausdrücklich im Vertrag vereinbart wurden, weil sie üblicherweise „allgemein anerkannte Regeln der Technik“ darstellen und als solche als Verkehrssitte oder Gebräuche im Geschäftsverkehr zu betrachten sind, die gemäß ABGB (insbesondere §§ 863, 914 und 922) bei der Ermittlung und Auslegung des Vertragsinhaltes zu beachten sind).
  • Sie sind auch ein Maßstab für Sorgfaltsanforderungen, was wegen eines allfälligen Verschuldens insbesondere in Schadenersatzprozessen relevant werden kann.
  • Anerkannte Regel der Technik (ÖVE/ÖNORM EN 45020:2007, 1.5) ist eine technische Festlegung, die von einer Mehrheit repräsentativer Fachleute als Wiedergabe des Standes der Technik angesehen wird.
  • ÖNORMen sind in besonderer Weise zur Bestimmung des nach der Verkehrsauffassung zur Sicherheit Gebotenen geeignet, weil sie den Stand der für die betroffenen Kreise geltenden Regeln der Technik widerspiegeln (5 Ob 540/94 unter Hinweis auf BGH NJW 1988, 2667).  Verkehrssitte
  • Technische Normen (vor allem ÖNORMen) dürfen den Regeln nicht gleichgesetzt werden, weil sie diese zwar wiedergeben, aber auch hinter ihnen zurückbleiben können. [hinter dem Stand der Technik] –> „Anscheinsbeweis“ Es kann aber fürs Erste davon ausgegangen werden, dass die einschlägigen Normen die Voraussetzungen von Regeln erfüllen, sodass der Auftragnehmer mit der Erbringung des Beweises, die einschlägigen Normen beachtet zu haben, dem ersten Anschein nach (prima facie) auch beweist, dass er damit auch die Regeln eingehalten hat.   –> Einspruchsmöglichkeit:  „Erschütterungsbeweis“ durch Gegenseite: ÖNORM weicht [ernsthaft] von den Regeln der Bautechnik und Baukunst ab. (OGH 22.06.2010, 10 Ob 24/09s)

Wenn wir aber nun abschließend im Baumarkt eine Schrauben-Mutter kaufen und froh sind, dass die auf das bestehende Gewinde passt, oder etwas mit unserem Drucker auf ein DIN A4-Blatt drucken, sind wir übrigens froh, wenn sich wer an die Norm gehalten hat!